6 Momente von Zufallsvariablen
Bisher haben wir die “Zufälligkeit’’ einer Zufallsvariable
Insbesondere die folgenden zwei zentralen Fragen über eine Zufallsvariable
- Welchen Wert nimmt
“im Mittel’’ an? - Wie sind die Werte von
um diesen “Mittelwert’’ gestreut?
Auf gewisse Weise haben wir uns diesen Fragen in Beispiel 4.5 über die
Definition 6.1 (Erwartungswert)
Für eine diskrete Zufallsvariable
ergibt sich der Erwartungswert von als der mit der Zähldichte gewichtete Mittelwert aller Werte von , d.h. unter der Voraussetzung, dassFür eine absolutstetige Zufallsvariable
ergibt sich der Erwartungswert von als der mit der Dichtefunktion “gewichtete Mittelwert aller Werte’’ von , d.h. unter der Voraussetzung, dass
Bemerkung 6.1
Mit dem Erwartungswert kommen wir der ersten Frage zu Beginn dieses Kapitels deutlich näher. Aber er beantwortet die Frage nicht zu unseren vollständigen Zufriedenheit. Wir sagen umgangssprachlich, dass eine Zufallsvariable
“im Mittel’’ den Erwartungswert annimmt. Allerdings wird uns Beispiel 6.1 zeigen, dass eine Zufallsvariable nicht notwendigerweise den Erwartungswert mit positiver Wahrscheinlichkeit annehmen kann.
Der Erwartungswert ist dennoch eine wichtige Kenngröße und fürs Erste geben wir uns mit dieser Näherung an Frage 1 zufrieden. Bzgl. der Interpretation des Erwartungswertes wird uns das sogenannte starke Gesetz der großen Zahlen in Kapitel 8 weitere Erkenntnisse liefern.Die Gleichung
ist letztendlich nichts anderes die infinitesimale Version der Gleichung , die sich aus der Notwendigkeit der “Summation von überabzählbar vielen Werten’’ ergibt.Man spricht davon, dass
integrierbar ist, falls bzw. erfüllt ist.Allgemein und ohne die Unterscheidung zwischen stetigen und diskreten Zufallsvariablen definiert man den Erwartungswert
als Lebesgue-Integral bzgl. dem Wahrscheinlichkeitsmaß , d.h. falls Man bemerke dabei, dass die Gleichung über einen Maßtransport bzgl. der Verteilung zu den Gleichungen bzw. führt.
Beispiel 6.1
Für die Augenzahl
eines üblichen Würfels giltFür
lässt sich zeigen, dass . Anschaulich lässt sich dies für die Normalverteilung anhand von Abbildung 4.2 erkennen, da die Dichten bei das einzige Maximum annimmt und symmetrisch, um ist.
Wichtig: Der Erwartungswert ergibt sich nicht immer als das Maximum der Dichte. Hier wurde nur der Spezialfall der Normalverteilung besprochen.In Beispiel 4.6 haben wir festgestellt, dass die Exponentialverteilung keine sinnvolle Verteilung für die Lebensdauer
eines Menschen ist. schlägt als mögliche Alternative die sogenannte Gompertz-Makeham Verteilung vor. Dessen Dichtefunktion ist definiert als wobei Parameter dieser Verteilung sind. Norberg (2020) empfiehlt, die Parameter so zu wählen, dass und bezeichnet diese spezielle Verteilung als G82M-Verteilung (siehe Abbildung 6.1). Der Erwartungswert von ist nun gegeben als wobei wir die Berechnung mit numerischen Mitteln durchgeführt haben.
Häufig ist man nicht nur an dem Erwartungswert einer Zufallsvariable
Theorem 6.1 (“Law of the unconscious statistician’’ - LOTUS) Es sei
Bemerkung 6.2
Wir benötigen für die Berechnung von
die Dichtefunktion bzw- Zähldichte der Zufallsvariable nicht. Intuitiv lässt sich dies darüber erklären, dass wir durch die Funktion die (reellen) Werte, die wir einem Ereignis zuordnen, verändern, jedoch die Wahrscheinlichkeit der entsprechenden Ereignisse unverändert lassen. Dementsprechend müssen wir für den neuen Erwartungswert lediglich die neuen Werte mit den alten Wahrscheinlichkeiten gewichten.Trotz der intuitiven Erklärung von Theorem 6.1 ist dies keine Definition, weswegen die Gleichung
formal bewiesen werden muss. Da es Studenten manchmal unterstellt wird, diesen Unterschied nicht zu erkennen, wird dieses Theorem auch manchmal “Law of the unconscious statistician’’ genannt.1Aus der Linearität des Integrals bzw. der Summe ergibt sich aus Theorem 6.1 die Linearität des Erwartungswertes, d.h. für alle
gilt .Falls
mit , so nennt man das -te Moment von .In Theorem 6.1 wurde vorausgesetzt, dass
integrierbar ist. Allgemein bezeichnet man die Klasse der integrierbaren Zufallsvariablen mit In diesem Fall könnten wir also schreiben. Analog dazu definiert man die Klasse der Zufallsvariablen mit -tem Moment als
Der Erwartungswert hilft uns, den “Mittelwert’’ einer Zufallsvariable zu bestimmen. Damit konnten wir die erste Frage zu Beginn des Kapitels
- Welchen Wert nimmt
“im Mittel’’ an?
hinreichend gut zu beantworten. Und wir können das gleiche Konzept auch auf die zweite Frage
- Wie sind die Werte von
um diesen “Mittelwert’’ gestreut?
anwenden. Dazu betrachten wir (zufällige) Abweichungen der Form
Definition 6.2 (Varianz, Standardabweichung) Für eine Zufallsvariable
Bemerkung 6.3
Die Varianz wird gerne verwendet, da sie große Abweichungen stärker “bestraft’’ als es die mittlere absolute Abweichung
tun würde. Dies ist oftmals eine gewünschte Eigenschaft. Allerdings hat die Varianz nicht mehr die gleiche Einheit, wie die zu untersuchende Größe (bspw. statt , falls eine Zufallsvariable aus dem Finanzbereich ist). Deswegen nutzt man für einheitsbezogene Aussagen die Standardabweichung.Anhand der Definition erkennt man schnell, dass für alle
gilt . Anschaulich ist dies auch ohne die Formel erklärbar:Da man mit der Varianz die Streuung einer Zufallsvariable untersucht, ist schnell klar, dass die Verschiebung aller Werte um
die Streuung unverändert lässt. Die Werte sind lediglich, um einen neuen Mittelwert gestreut.Die Streckung der Streuung um einen Faktor
bewirkt, dass die quadratische Streuung sich um den Faktor verändert.
Die Varianz lässt sich oft am einfachsten über die Verschiebungsformel
berechnen.Oftmals bezeichnet man die Varianz auch als zweites zentriertes Moment. Allgemein definiert man das
-te zentrierte Moment einer Zufallsvariable als .
Beispiel 6.2 Für eine Zufallsvariable